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Wir brauchen uns nicht extrem zu verhalten! – Jubiläumsartikel

In der Sommerausgabe 2016 sprach RunUp-Chefredakteur Thomas Kofler – damals noch ein junger Redakteur – mit Ernährungswissenschaftlerin Mag.a Christina Lachkovics-Budschedl über die richtige Ernährung.
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Wir brauchen uns nicht extrem zu verhalten_pexels

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Die richtige Ernährung erscheint besonders für Sportlerinnen ein kompliziertes Unterfangen. Ernährungswissenschaftlerin Mag.a Christina Lachkovics-Budschedl bewegt sich im RunUp-Interview weg von Komplexität und neuartigen Trends, sondern legt den Fokus auf eine bodenständige, vernünftige und gezielte Ernährung.

Run Up: Expert*innen und Ratgeber sprechen stets von einer ausgewogenen Ernährung. Wie kommen Läuferinnen diesem Anspruch nahe?

Foto Lachkovics_Wir brauchen uns nicht extrem zu verhalten
Mag. Christina Lachkovics-Budschedl

Mag. Christina Lachkovics-Budschedl:
„Wenn von ausgewogener Ernährung gesprochen wird, wird meist sehr viel Wert auf die Auswahl der Nahrungsmittel gelegt. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass nicht nur die Auswahl der Nahrungsmittel, sondern auch der Zeitpunkt, wann man isst, ausgewogene Ernährung meint. Und das machen viele berufstätige Frauen, die sportlich aktiv sind, oftmals nicht richtig.“

Welche Rahmenbedingungen braucht die richtige Ernährung, um so effektiv wie möglich auf einen gesunden Lebensstil zu wirken?

„Organisation ist das halbe Leben. Ich sollte schon ein ungefähres Bild von meinem Tagespensum haben, damit ich weiß, wann ich was esse. Dann kann ich gegebenenfalls auch flexibler reagieren. Mitgedacht, organisiert, ritualisiert – dann läuft das ganz von alleine.“

Fortschritte im Fitnessgrad werden von einem günstigen Essverhalten unterstützt. Welche Punkte setzten Sie voraus?

„Die wichtigste Energiequelle für Ausdauersportlerinnen sind die Kohlenhydrate und in weiterer Folge Eiweiß für die Muskulatur. Dementsprechend spielt die Auswahl der Nahrungsmittel die wichtigste Rolle, man versucht sich bestmöglich auf die nächste sportliche Einheit vorzubereiten. Nach einem intensiven Training oder einer längeren Einheit darf man nicht zu spät und zu schwer essen, denn damit ist die optimale Regeneration in der Nacht nicht gewährleistet.“

Auf welche typischen Ernährungsfehler treffen sie bei Läuferinnen am häufigsten?

„Die klassischen Fehler sind, dass viele Frauen über den Tag insgesamt zu wenig essen, Gemüse- und Obst-lastig unterwegs sind und zu wenig Kohlenhydrate aufnehmen. Das schränkt nicht nur die Leistung ein, sondern erhöht auch die Verletzungsgefahr. Außerdem kann diese Unterversorgung zu Heißhunger am Abend führen.“

Unterscheiden sich die Ernährungsbedürfnisse von Läuferinnen und Läufern?

„Im Normalfall haben sowohl Frauen als auch Männer den gleichen Bedarf an Lebensmitteln, nur die Mengen sind unterschiedlich.“

Sie wehren sich vehement gegen den schlechten Ruf von Kohlenhydraten. Woher kommt er, warum ist er so verbreitet und warum ist eine Gegendarstellung notwendig?

„Wenn jemand sein Gewicht trotz ausreichend Bewegung nicht unter Kontrolle bekommt, muss irgendwer Schuld sein. Früher hat man ans Fett gedacht, jetzt ist es der Zucker und da werden alle Kohlenhydrate in den gleichen Topf geworfen – sowohl die kurzkettigen als auch die langkettigen. Natürlich sind Süßigkeiten nicht günstig, aber es ist der falsche Ansatz, alle Kohlenhydrate auf gleiche Art und Weise zu verdammen. Schuld am Dilemma ist keine Nährstoffgruppe, sondern das verlernte, richtige Essverhalten. Die Leute wissen nicht mehr, wann sie was und wie viel essen sollen. Dieses Empfinden ist in den stressbelasteten und diätverseuchten Zeiten verloren gegangen.“

Welche kohlenhydratreichen Nahrungsmittel empfehlen Sie Läuferinnen?

„Neben den Nudeln ist beispielsweise der Reis unheimlich wertvoll, Erdäpfeln sind sehr günstig, weil sie das Verdauungssystem kaum belasten und schnell ins Blut gehen. Genauso Couscous, Chinoa, Amarant, Hirse, Buchweizen. Das sind alles Kohlenhydrat-Quellen in ihrer günstigsten Form, die man unterschiedlich zubereiten und super mit Eiweiß-Quellen kombinieren kann. Und natürlich das Brot in seiner einfachsten Form.“

Fast genau so wichtig wie Kohlenhydrate sind für aktive Menschen Proteine. Treffen Sie häufig auf Läuferinnen, die ausreichende Protein-Zufuhr vernachlässigen?

„Ja, das kommt durchaus vor. Vor allem beim Trend der veganen Ernährung, ist das manchmal dramatisch. Aber auch bei Ovo-Lacto-Vegetariern kann es zu einer Vernachlässigung kommen, wenn sie nicht bewusst daran denken und etwa ein Glas Milch zum Essen trinken oder ein Joghurt als Nachspeise essen. Der gesamte Hormonhaushalt und auch die Regeneration der Muskeln hängen vom Eiweiß ab, deshalb kann eine Vernachlässigung der Proteinaufnahme unangenehme Folgen haben. Zumal auch das Immunsystem durch fehlende Protein-Aufnahme geschwächt wird. Insgesamt sind aber sehr viele Vegetarier und Veganer gut geschult, wie sie fehlende Nährstoffe zu sich nehmen. Das Protein betreffend sind Hülsenfrüchte, Nüsse, Sojamilchprodukte und Tofu heiße Tipps.“

Das Thema Abnehmen spielt in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Besonders für Frauen ist es eines der Hauptmotive für die regelmäßige Laufrunde. Welche Ernährungsstrategie führt zum Erfolg?

„Am einfachsten ist, wenn man eine ganz normale Ernährungsweise aufbaut. „Iss am Morgen wie ein Kaiser, am Mittag wie ein König und am Abend wie ein Bettler“ – auch wenn ich am Abend trainiert habe, oder gerade deshalb. Ich muss mich untertags so versorgen, dass die Trainingseinheit funktioniert, darf aber nicht erwarten, dass eine Stunde laufen eine ganze Tafel Schokolade ausgleicht. Bei trainierten Athleten tritt das Phänomen auf, dass der Körper den gesamten Energiehaushalt im normalen Alltag einfach runterfährt, weil der Körper auf Ausdauer trainiert ist und darauf ausgelegt ist, effizient zu arbeiten. Dann tritt das Problem auf, dass Sportler, die jahrelang trainiert haben und plötzlich weniger oder gar keinen Sport mehr machen, dazu neigen, relativ schnell zuzunehmen.
Daher ist das Abnehmen und der Sport eine zwiegespaltene Geschichte. Das geht gar nicht so leicht, wie man sich das vorstellen mag. Jemand, der mit Sport beginnt, hat einen super Effekt, weil der Körper den Umfang an Bewegung nicht gewöhnt ist. Ab dem Zeitpunkt der Adaption des Systems ist der Neureiz fort, dann muss man dran bleiben, um diesen positiven Effekt aufrecht zu halten und den Abnehmprozess durch spezielle Trainings und durch die Ernährung zusätzlich unterstützen.“

Viele Frauen sind der Meinung, dass der erfolgreichste Weg zum Abnehmen der Verzicht auf Kohlenhydrate in Kombination mit Sport ist.

„Kurzfristig kann es passieren, dass erfreuliche Erfolge auftreten. Das ist aber meistens darauf zurückzuführen, dass der Körper aufgrund der mangelnden Kohlenhydrat-Aufnahme in eine Art Stressphase kommt und Adrenalin ausschüttet und das verleiht Flügel. Langfristig wird der gesamte Stoffwechsel heruntergefahren und diese Anfangseuphorie hält nicht an. Es entwickelt sich der gegenteilige Effekt: Irgendwann kommt es dann rasch zu einer Gewichtszunahme bei normaler Ernährung, weil der Stoffwechsel ausgebremst wird. Wir dürfen nicht vergessen: Fett verbrennt im Feuer der Kohlenhydrate. Und für eine Sportlerin sind Kohlenhydrate die Energiequelle Nummer eins!“

Was halten Sie von Diäten zusätzlich zu regelmäßigem Sport?

„Kurzfristige Diäten können in der Tat positiv auf die Leistung wirken. Aber meistens wird die Psyche nachhaltig belastet, weil man einfach der Ernährung zu viel Bedeutung schenkt. Dann wird der positive körperliche Effekt schnell zweitrangig.“

Viele Läuferinnen verschreiben sich der glutenfreien Ernährung, obwohl keine Allergie nachweisbar ist.Was halten Sie davon?

„Es gibt den so genannten Halo-Effekt. Das heißt, es wird ein positiver Aspekt über alles andere gestellt. Das ist relativ gefährlich, weil es einfach Humbug ist. Eine falsche Vorbildwirkung und es entwickelt sich ein Hirngespinst. Wenn ich eine bestimmte Ernährungsweise vertrage, kann mir nichts passieren. Ich sehe hier einen problematischen Aspekt für die Gesellschaft. Der Sport hat sein Image und Sportler, die voll trainiert sind und gut aussehen, generieren Nacheiferungen von Nicht-Sportlern und tragen zu einer allgemeinen Verwirrung bei. Weil so viele Leute so viel Blödsinn erzählen und nicht haltbare Theorien in den Raum setzen, sitzen wir aktuell in einem Ernährungschaos hoch zehn!“

Viele Läuferinnen geraten durch reduzierte Ernährung in Kombination mit Sport in die Nähe der Magersucht. Ein nicht unwesentliches Problem des Laufsports. Welche Ursachen sind dafür verantwortlich?

„Ich bin der vollen Überzeugung, dass die Hauptursache einer Magersucht im Ausdauer- und Leistungssport nicht eine Frage der Fehlernährung, sondern eine Frage der Psyche ist. Wenn eine Läuferin sich derartig unter Druck setzt, sich Stress macht, ihre eigene Bestätigung nur mehr dadurch erhält, dass sie immer leichter wird, dann ist das eine Störung. So eine Störung wird nicht alleine durch die Ernährung ausgelöst, sondern wird erst extrem, wenn der psychische Background nicht in Ordnung ist. Das gehört dementsprechend auch nicht ernährungstherapeutisch, sondern psychotherapeutisch betreut.“

Der weibliche Körper greift effizienter auf die Kraftstoff-Reserven zurück als der männliche. Welche Unterschiede empfehlen sich in der Ernährung während eines Marathons oder Halbmarathons?

„Dadurch, dass der weibliche Körper einen geringeren Muskelanteil hat, kann er länger von eigenen Reserven zehren. Aber grundsätzlich ist die Ernährung während eines Wettkampfs eine reine Trainingsgeschichte, das hängt ganz stark von der Gesamtversorgung ab. Hier sehe ich aufgrund dieser individuellen, auf Erfahrung basierende Steuerung nur geringfügige Unterschiede, die nicht bedeutend sind. Dasselbe gilt für die Aufnahme von Flüssigkeit.“

Jetzt kommt die Zeit, wo zahlreiche Köstlichkeiten aus der heimischen Produktion frisch erhältlich sind. Welche Geheimtipps für eine laufgerechte Ernährung findet man direkt vor der Haustür?

„Grundsätzlich gilt: Regionalität ist das allerbeste, was man machen kann. Als Sportler sollte man ein Auge darauf werfen, Lebensmittel aufgrund des Vitaminreichtums frisch zu konsumieren. In unseren Breiten existiert keine Mangelernährung. Wir brauchen uns nicht extrem verhalten, sondern das Angebot ganz entspannt und bodenständig nutzen. Wir sind sehr gut versorgt!“

Autor: Thomas Kofler
Bild: Mag. Christina Lachkovics-Budschedl | pexels

INFOBOX

Mag. Christina Lachkovics-Budschedl ist erfahrene Ernährungswissenschaftlerin, die sowohl den Breiten- als auch den Spitzensport bestens kennt. Als Ernährungsexpertin betreut sie Spitzensportler*innen wie Andreas Vojta und Beate Schrott.

Ihre Devise lautet: Normalität in das Thema Ernährung des Menschen zurückzubringen.

Hier geht’s zur Website von Mag. Christina Lachkovics-Budschedl:

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