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Stressfrakturen sind Überlastungserscheinungen, die zu Schädigungen in der Knochensubstanz führen. RunUp-Experte Dr. Holger Förster betont den Vorteil der unmittelbaren Maßnahme, bei Schmerzen schnell mit Entlastung zu reagieren. Somit heilen Stressfrakturen üblicherweise in einigen Wochen aus. In der Prävention lässt sich das Risiko mit gesundem Ehrgeiz, Weitsicht und Vernunft deutlich minimieren, merkt der erfahrene Trainer und RunUp-Herausgeber Johannes Langer an. Vielseitigkeit im Training ist der Schlüssel. RunUp.eu zeigt dir in diesem Artikel auch einige stellvertretende Trainingsübungen, die präventiv gegen diese typische Läufer*innenverletzung wirken.
Am 8. Oktober 2023 war Rose Harvey zum Jubeln zumute. Platz neun beim Chicago Marathon bedeutete für die Britin nicht nur ein internationales Top-Resultat. Wichtiger war: Mit einer Zeit von 2:23:21 Stunden blieb sie nicht nur satte vier Minuten (!) unter ihrer persönlichen Bestleistung, sondern schaffte auch die Olympia-Qualifikation für Paris 2024 locker. Es war die Hochphase ihrer bisherigen Karriere: Nur fünf Wochen vor dem Chicago Marathon hatte sie in London ihre Halbmarathon-Bestzeit auf eine Zeit von 1:10:02 Stunden verbessert.
Harvey verkörpert eine gelungene Story aus der Rubrik „Everybody’s Dream“ in der Hobbylaufszene. Nicht vom klischeehaften Tellerwäscher zum Millionär, sondern von der sportlichen Berufstätigen zur Olympia-Teilnehmerin. Die ambitionierte Freizeitläuferin (sub-3-Marathon) arbeitete als Rechtsvertreterin für Unternehmen, als ihr Job im Corona-Lockdown temporär an Bedeutung verlor und ihr Zeit und Möglichkeit verschaffte, über ihre Lebensziele nachzudenken. In dieser Phase widmete sie dem Laufen viel Zeit. Phil Kissi, ein in London lebender Trainer, beobachtete sie im Battersea Park. Beide erkannten das Potenzial. Harvey entschied sich, den Laufsport professionell zu betreiben. Ein Sponsoring-Vertrag mit Puma ermöglichte diesen Schritt.
Im Herbst 2021 blieb sie beim London Marathon unter 2:30 Stunden und qualifizierte sich für die WM 2022 in Eugene. Den Marathon in Oregon musste sie wie Landsfrau Charlotte Purdue wegen Erschöpfung aufgeben, beide wurden nach dem Rennen positiv auf COVID-19 getestet. Dennoch bildeten diese Erfahrungen den Auftakt zum Olympischen Traum.
Am 11. August 2024 war ihr nicht zum Strahlen zumute. Mit schmerzverzerrtem Gesicht überquerte Rose Harvey die Ziellinie des Olympischen Marathons in Paris. Weder die Zeit (2:51:03, fast eine halbe Stunde Rückstand auf die Olympiasiegerin) noch die Position (78.) erinnerten an das Leistungshoch vom Herbst davor. Die Leistung hatte einen Grund: Rose Harvey finishte den Olympischen Marathon mit einer Stressfraktur im Oberschenkel, wie sich im Nachhinein bei einer eingehenden Untersuchung herausstellte.
Schon früh im Rennen spürte sie stärker werdende Schmerzen. Sie kannte die Beschwerden aus dem Training. Eine Anspannung in der Hüfte störte. Die Physiotherapie linderte, im Wettkampf sollte das Adrenalin helfen. Beides wirkte nicht. „Jedes andere Rennen hätte ich sofort beendet“, schrieb die 32-Jährige in sozialen Medien. „Es gab viele Momente, in denen ich dachte, ich könnte keinen Schritt mehr laufen. Besonders die Downhills waren die Hölle!“ Das Foto zum Posting: Sie selbst auf Krücken auf einem Bahnsteig der französischen Hauptstadt, beim Verlassen der Olympia-Bühne. „Es war mein Olympischer Traum und der enthielt, ins Ziel zu laufen. Daher konnte ich nicht aufgeben!“
Die Krücken brauchte Harvey auch noch bei ihrer Hochzeit mit Charlie Thuillier, drei Wochen nach dem Olympischen Marathon. Die paar Schritte zum Altar durfte sie mit ärztlicher Erlaubnis ohne bewältigen, wie die BBC berichtete. Abgesehen davon sind die Gehhilfen als Bestandteil vieler Hochzeitsfotos in ihrem Leben verewigt.
Quelle: https://www.runnersworld.com/uk/training/motivation/a41762961/rose-harvey/
Da der Traum von Olympischen Spielen für Läufer*innen auf einem Niveau wie Rose Harvey so signalstark ist, dass Schmerzen und ein gewisses Maß an Opferbereitschaft akzeptiert werden, mag einerseits verständlich sein. Die Britin scheint schmerzresistent und hart im Nehmen zu sein: Zehn Tage vor dem London Marathon 2022 fuhr sie ein unachtsamer Autofahrer bei einer Trainingseinheit an. Sie hielt den Zwischenfall geheim und absolvierte trotz Knieschmerzen den Marathon in persönlicher Bestzeit als beste der Lokalmatadorinnen. Im Ziel brach sie, übermannt von schmerzvollen und glücksbringenden Emotionen, in Tränen aus (vgl. Runner’s World).
Andererseits, und das ist eine wichtige Aussage für alle Hobbyläufer*innen, war das Risiko, das Harvey bereitwillig einging, aus medizinischer Sicht ein Fehlverhalten. Das betont auch RunUp-Experte Dr. Holger Förster, der sich in seiner Praxis regelmäßig mit Stressfrakturen auseinandersetzt: „Schmerzen sind Signale unseres Körpers an uns. Ich rate allen Läufer*innen eindringlich, prinzipiell auf diese Signale zu hören und sie ernst zu nehmen.“ Da eine Stressfraktur in einer Überlastung begründet ist, kann durch frühes Reagieren der Schaden begrenzt und damit auch eine wochenlange Laufpause verhindert werden. Dieser Vorteil macht die Verletzung aber tückisch: Wer über die Schmerzen „drüberläuft“, riskiert eine weit längere Zwangspause. Denn die Diagnose ist erst bei einem MRI sichtbar. Das bedeutet, es braucht davor den konkreten Verdachtsmoment durch sportmedizinisches Fachpersonal.
Stressfrakturen, ein Synonym zu Ermüdungsbrüchen, und ihre zugrunde liegenden Überbelastungserscheinungen treten im Laufsport häufig auf, wie sonst bei Straßenläufer*innen laut der Erfahrung des Salzburger Sportarztes nur Sehnenüberlastungen. „Betroffen sind alle durch die Stoßbelastung theoretisch überlastbaren Knochen. In erster Linie sind das die Mittelfußknochen, aber auch der Mittelfuß, beide Knochen im Unterschenkel bis hoch zum Becken und dem Schenkelhals“, erklärt Dr. Förster. Neben Bewegungsarten, bei denen Sprungbewegungen ein wichtiges Element sind, sind Läufer*innen durch die stoßartigen Belastungen die am häufigsten von Stressfrakturen betroffenen Sportler*innen. Bemerkbar macht sich die Verletzung durch Schmerzen und meist durch begleitende Schwellungen im betroffenen Bereich. Auch verminderte Belastbarkeit ist ein typisches Symptom.
Stressfrakturen beschreiben keine traumatischen Verletzungen wie komplette Knochenbrüche, sondern sie beschreiben per Definition mikroskopische Verletzungen, die zu Brüchen in der Knochensubstanz wie zum Beispiel Einrisse führen. Die Ursache ist immer eine Überlastung, die gezielt auf eine Stelle des Knochens einwirkt. „Knochen benötigen eine längere Anpassungsphase als zum Beispiel das Herz-Kreislauf-System“, gibt der Experte zu bedenken.
Daher ist bei Veränderungen im Training wie zum Beispiel eine Erhöhung der Intensität, aber auch bei simplen Dingen wie eine Anpassung der Lauftechnik oder einer Neuwahl der Laufschuhe prinzipiell Vorsicht geboten. Und zwar darauf, wie die Belastung wirkt. Belastungen aus einer falschen Richtung, chronische Fehlstellungen wie Senk- oder Knickfüße oder Vorerkrankungen in den Knochen sind zusätzliche Risiken.
Da Überlastungserscheinungen im Verhältnis zu den individuellen Voraussetzungen wirken, kommen Stressfrakturen auf jedem läuferischen Niveau vor. „Training löst immer einen Reiz im Körper aus, der die nötige Wiederherstellung erfordert. Werden viele Trainingsreize hintereinander gesetzt und bleibt die Zeit für die erforderliche Regeneration aus, führt das häufig zu Problemen beim Bewegungsapparat. Im Falle der Beanspruchung eines Knochens kann es somit zu einem Ermüdungsbruch kommen“, erklärt der erfahrene Lauftrainer Johannes Langer.
Je vernünftiger, vielseitiger und durchdachter das Training ist, desto stärker lässt sich das Risiko von Stressfrakturen vermeiden. Häufig sind Überlastungen nicht ausschließlich die Folge von zu intensiver Gesamtbelastung, sondern stehen im Zusammenhang mit sich wiederholenden und gleichbleibenden Bewegungen im Lauftraining. Langer, der seit vier Jahrzehnten Freizeitläufer*innen und seit Jahren auch Österreichs Marathonrekordhalter Peter Herzog betreut, rät zu Abwechslung und Vielseitigkeit im Lauftraining und auch bei der Wahl der Laufschuhe. „Je nachdem, welche Materialien beim Training verwendet werden und wie die Bodenbeschaffenheit ist, müssen die Füße intensiver oder weniger arbeiten. Folglich sind die auf die Knochen wirkenden Impactkräfte stärker oder geringer“, betont er. Asphalt ist beispielsweise ein harter Untergrund, der recht eindimensionale Belastungen auf den Körper einwirken lässt.
Diese Vielseitigkeit betrifft nicht nur die Trainingseinheiten und Laufschuhe, sondern auch eine ausgewogene Ernährung, die für die Knochengesundheit wichtige Nährstoffe berücksichtigen soll: „Ausreichend Kalzium, Vitamin D und Eiweiß schützt präventiv vor Stressfrakturen“, so der Herausgeber des RunUp. Da das fettlösliche Vitamin D unter anderem durch die Sonneneinstrahlung auf der Haut produziert werden kann, ist der Vitamin-D-Aufnahme in Europa im Winter höhere Aufmerksamkeit zu schenken.
Kräftigungsübungen sind ein wichtiger ergänzender Teil des Lauftrainings und stärken den Bewegungsapparat. Daher sind sie auch in der Prävention vor Stressfrakturen wirkungsvoll. RunUp-Redakteurin Eva Bernhard zeigt dir einige effektive Übungen zum Nachmachen vor.
Gerade bei einer Steigerung im Training empfiehlt Dr. Förster Weitsicht, Vernunft und die Expertise eines Trainers. Langer kennt den Fachjargon des Lauftrainers wie nur wenige in Österreich. Er rät zu einem durchdachten, periodisch aufgebauten Trainingsplan, bei dem Belastungen mit adäquaten Erholungszeiten harmonisch abgestimmt sind. Im Falle von Laufeinsteiger*innen kann das zum Beispiel das Wechselspiel zwischen Lauf- und Walkingschritt sein. Im Falle hochambitionierter Läufer*innen fallweise eine Alternativtrainingseinheit.
Der Wunsch nach einer Steigerung findet seine Ausgangsposition in neuen Zielen. Viele wollen im Sinne der Gesundheit ihren Bewegungsumfang erhöhen, andere haben sich einen Marathon zum Lebensziel gesetzt und starten zu einem bestimmten Zeitpunkt die konkrete Vorbereitung darauf. „Wenn die Intensität im Training gesteigert wird, ist nicht nur die Belastungsdauer durch den höheren Umfang, sondern auch die größere Belastung aus der höheren Laufgeschwindigkeit von Bedeutung“, betont Dr. Förster. Oft führt ein simples Trainingslager, bei dem durch die höhere Zeitverfügbarkeit der übliche Wochentrainingsumfang rasch verdoppelt wird, schon zu einer Überlastung.
Der Trainerroutinier pocht darauf, Trainingsbelastungen stets langsam zu steigern und in diesen Phasen Warnsignalen wie wiederkehrenden, leichten Schmerzen besondere Beachtung zu schenken. Neben der Ernährung können auch andere Faktoren wie die Belastung durch Alltagsschuhe oder die Ausübung weitere Sportarten ebenfalls eine Rolle spielen. Eine adäquate Schuhwahl beim Laufen und ein adäquater Laufstil wirken präventiv schützend, genauso wie unterstützende Kräftigungsübungen, betonen die beiden Experten.
Statistisch treten Stressfrakturen bei Läuferinnen häufiger als bei Läufern auf. „Frauen haben von Natur aus eine geringere Knochendichte als Männer. Außerdem ist die hormonelle Zusammensetzung bei einem unregelmäßigen Menstruationszyklus ein Risikofaktor für Stressfrakturen“, erklärt Dr. Förster. Auch der Risikofaktor Untergewicht ist bei (jungen) Frauen statistisch häufiger gegeben als bei Männern.
Da Knochen eine Stressfraktur selbst durch Nachbildung ausheilen, ist bei einem niedrigeren Grad der Verletzung oft absolute Ruhe gar nicht angesagt, sagt der Sportmediziner: „Das Gebot lautet, die betroffene Körperstelle gezielt zu entlasten. Das ist bei einer Stressfraktur im Hüftbereich natürlich schwieriger als zum Beispiel im Mittelfußknochen. Da empfiehlt sich manchmal Alternativtraining wie Radfahren oder Schwimmen. Denn ein dosierter Reiz forciert einen optimierten Knochenaufbau.“ Eine Win-Win-Situation also, wenn mit etwas Geduld und dem Wechsel zu belastungsarmem Alternativtraining die Reduktion der Fitness im Vergleich zu einem absoluten Trainingsstopp verringert werden kann.
Eine leichte Stressfraktur lässt sich auf diese Weise häufig binnen weniger Wochen ausheilen. Erst ab einem schwereren Verletzungsgrad dauert die Regeneration länger und in drastischen Fällen bis zu einem halben Jahr. Dann ist ein externer Reiz wie zum Beispiel durch eine Stoßwelle eine gute therapeutische Maßnahme.
Autor: Thomas Kofler
Bild: © RunUp