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„Jeder kann sehen, dass es zwei verschiedene Rennen sind. Da gibt es nichts, was ich machen kann. Da gibt es nichts, was irgend jemand machen kann. Da es nicht in unserer Kontrolle liegt, können wir uns ohnehin nur auf unsere…
„Jeder kann sehen, dass es zwei verschiedene Rennen sind. Da gibt es nichts, was ich machen kann. Da gibt es nichts, was irgend jemand machen kann. Da es nicht in unserer Kontrolle liegt, können wir uns ohnehin nur auf unsere Rennen konzentrieren“, machte 800m-Läuferin Lynsey Sharp ihrem Unmut nach dem Diamond League Meeting in Birmingham im Juni Luft, als Francine Niyonsaba genau so spielerisch die Konkurrenz düpierte wie Caster Semenya in den Rennen davor. Die Journalisten der britischen Tageszeitung „The Guardian“ hatten genau zugehört. Denn damit äußerte Sharp jenen Aspekt, über den die Funktionäre und Verantwortlichen so gut wie möglich schweigen, Experten aber seit Monat mahnend hinweisen. Die Welt des 800m-Laufs hat ein Diskussionsthema wieder eröffnet, das die Leichtathletik bereits hinter sich geglaubt hat, das aber brennender ist denn je: Intersex bzw. Hyperandrogenismus.
Das vorläufige Ende der Posse um Caster Semenya sah eine Hormontherapie als Lösung, zu der die Südafrikanerin verpflichtet wurde und die sie leistungsmäßig von der Bildfläche verschwinden ließ. Den Neustart der Diskussion entfachte der Oberste Internationale Sportgerichtshof (CAS), der diese durchaus anerkannte Regelung der IAAF, erstellt von einem Expertenteam, als nicht den Menschenrechten entsprechend einstufte und damit kippte. Eine weitreichende und folgenschwere Entscheidung, aber rechtlich nachvollziehbar. Was viele befürchteten, traf ein. Semenya agiert seither in ihrem alten Leistungsniveau und dominiert die Szene. Wäre nicht die (mutmaßlich) bis über beide Ohren hinaus gedopte Maria Savinova gewesen, hätte Semenya ohnehin bereits nicht nur einen WM-Titel auf der Habenseite, sondern zwei WM-Goldmedaillen und einen Olympiasieg. Im Gegensatz zu damals ist es nun allerdings nicht Semenya alleine, die die Gemüter erhitzt. Francine Niyonsaba aus Burundi, frisch gebackene Hallen-Weltmeisterin, und die junge Kenianer Margarat Wambui, (noch) amtierende Junioren-Weltmeisterin, stechen ebenfalls durch eine männliche Erscheinung ins Auge. Genau so bewegen sie sich auch auf der Laufbahn. Jubelgesten unverkennbar. Und: Diese drei Athletinnen führen überlegen die Jahresliste über 800 Meter der Damen an, die Rangliste Semenya vor Niyonsaba und Wambui scheint einen knappen Monat vor den Olympischen Spielen einzementiert. Die logische Schlussfolgerung aller anderen 800m-Läuferinnen auf der Welt: Bei den Olympischen Spielen geht es für sie nur um die Plätze abseits des Podestes. Es liegt nicht in ihrer Hand, um auf die Worte der ehemaligen Europameisterin Lynsey Sharp zurückzukommen.
Bei den meisten Menschen sieht die Biologie eine der beiden klassischen Wege der hormonellen Entwicklung vor. Heranwachsende Frauen werden vom weiblichen Sexualhormon Östrogen geprägt, Männer vom männlichen Sexualhormon Testosteron. Eine verhältnismäßig kleine, aber nach reinen Zahlen durchaus beachtliche Bevölkerungsgruppe von mehreren Millionen Menschen weltweit (Schätzungen sprechen von 0,2% bis 1,6% der Gesamtbevölkerung) kann nicht eindeutig in eine dieser beiden Gruppen eingeordnet werden. Bei Tests vor und nach den Sensations-Weltmeisterschaften von Berlin 2009 wurde festgestellt, dass Caster Semenya, ein Hermaphrodit – oder wie der Volksmund sagt, Zwitter – dreimal mehr Testosteron im Körper hat als lupenreine Frauen. Ein rein biologisch ergründeter, essentieller Vorteil beim Sport. Die von der IAAF bestimmte Hormontherapie regulierte die Leistungsfähigkeit Semenyas über Jahre, dasselbe gilt auch für Niyonsaba. Die Leistungskurven dieser beiden Läuferinnen bis 2012 und seit Jahresbeginn 2016 sowie das Leistungsloch dazwischen sprechen Bände. Aktuell nutzen sie ihr von Gott gegebenes Rüstzeug voll aus und demonstrieren ihre natürlich gegebene Überlegenheit im sportlichen Wettkampf. Wie ihre Konkurrentinnen holen sie das Optimum aus ihren natürlichen Fähigkeiten heraus, nur mit ungleichen Waffen – unabsichtlich. Eine Ungerechtigkeit, die bekämpft werden muss! Oder doch ein Status quo, der akzeptiert werden muss?
Dr. Joanne Harper ist eine anerkannte Wissenschaftlerin. Die Kanadierin wurde in den letzten Jahren häufig zu dieser Thematik befragt, weil sie selbst Transgender ist. Zuletzt vom bekannten Sportwissenschaftler Ross Tucker aus Südafrika, nachzulesen in seinem ausführlichen Blog. Harper, selbst eine Leichtathletin, hält den körperlichen Vorteil von Hermaphroditen gegenüber Frauen als ungerecht im Sinne des fairen Verständnis von sportlichem Wettkampf gegenüber lupenreinen Frauen. Gleichzeitig appelliert an das natürliche Recht für Hyperandrogenismen, Leistungssport ausüben zu dürfen. Die aktuelle Situation, gerade im 800m-Lauf der Damen, sieht sie kritisch: „Ich habe die Befürchtung, dass die Olympischen Spiele durch Erfolge von Intersex-Athletinnen überschattet werden, die Frauen-Bewerbe in der Olympischen Kernsportart dominieren. Und gleichzeitig wird die Öffentlichkeit diesen Athletinnen Vorwürfe machen, obwohl sie eigentlich nur die Geschenke, die die Natur ihnen gemacht hat, in die Waagschale werfen. Das ist die Folge davon, dass es aktuell keine Regelung gibt“, warnt Harper. „Caster Semenya bekommt zwar die volle mediale Aufmerksamkeit, aber sie ist vermutlich weit davon entfernt, die einzige Intersex-Athletin zu sein, die in der Leichtathletik Spitzenleistungen abliefert. Ich wäre nicht überrascht, wenn es fünf von acht Finalistinnen im 800m-Lauf der Damen sein würden. Ganz zu schweigen von potentiellen Medaillengewinnerinnen auf anderen Distanzen.“
Harper unterscheidet auch zwischen der Geschlechts-Debatte und anderen Komponenten, die im Sport Vorteile bringen, wie zum Beispiel die Größe von Basketballspielern: „Ich denke nicht, dass unsere Gesellschaft kleine, basketballspielende Menschen schützen muss. Aber ich denke sehr wohl, dass es fundamental wichtig ist, weibliche Athletinnen davor zu schützen, dass sie chancenlos gegenüber Konkurrentinnen sind, die einen pubertären Vorteil haben.“ Und untermalt: „Ich halte den Erfolg von Sportlerinnen als einen der größten Errungenschaften im Leben der Frauen. Wenn wir die Gleichberechtigung von Frauen vorantreiben möchten, müssen wir die Möglichkeiten, dass Frauen im Sport erfolgreich sein können, wahren.“
In einer Zeit, in der die IAAF krisenerprobt ist, erwartet die Leichtathletik-Welt nun schnellstmöglich die richtige Reaktion. Den ersten Teil der Geschichte Semenya löste die IAAF allerdings alles andere als rühmlich, wenn auch mit einer Lösung, die für Ruhe sorgte, aber stets umstritten war. Es gilt zwei Prämissen unter einen Hut zu bringen: menschenwürdig zu agieren, um die Rechte der Intersexuellen nicht zu gefährden und gleichzeitig die sportliche Fairness zu wahren, um den Frauensport zu schützen, der zurecht als symbolhafte Errungenschaft für die Entwicklung der Frau in der Gesellschaft gilt. Eine klare Klassifizierung in Männer und Frauen ist aufgrund der biologischen Entwicklung der Körper in der Pubertät offensichtlich unzureichend, neue Grenzen sind erforderlich. Die Schwierigkeit einer Lösung zur Zufriedenheit aller ist offensichtlich. „In den letzten Jahren haben wir die eine Seite der Medaille gesehen, jetzt sehen wir die andere. Wir brauchen eine Lösung zwischen diesen beiden Polen“, gibt Sharp die Marschrichtung vor. Dass noch im Laufe dieses Kalenderjahres ein konkreter Vorschlag zu erwarten ist, scheint unwahrscheinlich. Harper selbst will zu den Fortschritten in der Lösungsfindung keinen Kommentar abgeben, da sie in den Prozess offiziell eingegliedert ist. Von einer eigenen Intersex-Klasse hält Harper nur dann etwas, wenn gleiche Konditionen wie bei den Männern und Frauen gelten. Das betrifft nicht nur Preisgelder, sondern auch Akzeptanz und Anerkennung.