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Das neue Laufjahr auf europäischen Straßen hat mit einem Paukenschlag begonnen. Es ist nicht so, als wäre der Weltrekordversuch von Agnes Ngetich irgendwie vertuscht oder halbherzig angekündigt worden – ganz im Gegenteil, es war das erklärte Ziel aller Beteiligten. Dass die Kenianerin die bisherige Bestleistung von Yalemzerf Yehualaw von 29:14 Minuten aber gleich um 28 (!) Sekunden pulverisieren und damit in einer Zeit von 28:46 Minuten deutlich unter 29 Minuten bleiben würde, macht ihren Auftritt zu einer Gesamtleistung, die Sprachlosigkeit hervorrief. Sie selbst wusste sich gleich im Ziel zu deklarieren: „Ich bin unglaublich stolz. Ich hätte nicht erwartet, unter 29 Minuten laufen zu können. Aber die Strecke ist gewaltig.“ Im Sog der 22-Jährigen lief Emmaculate Acholi eine Zeit von 28:57 Minuten und schaffte als zweite Läuferin der Geschichte eine 10km-Zeit unter 29 Minuten. Erstaunlich auch deswegen, weil die Fahnen und Transparente am Streckenrand sich bei sonnigem Wetter stark im Wind bewegten.
Quasi im „Vorbeilaufen“ egalisierte Ngetich den Weltrekord im 5km-Straßenlauf von Beatrice Chebet, der erst zwei Wochen alt ist (siehe RunAustria-Bericht). Während der 5km-Weltrekord von 14:13 Minuten allerdings gut zwölf Sekunden hinter dem Weltrekord auf der Vergleichsdistanz auf der Bahn liegt (5.000m), blieb Ngetich in Valencia satte 15 Sekunden unter dem Frauen-Weltrekord im 10.000m-Lauf auf der Bahn. Diese Vergleichbarkeit bleibt in ihrer Aussagekraft aber begrenzt, weil bei Bahnrennen keine gemischten Rennen möglich sind, also auch keine männlichen Pacemaker für die Frauenspitze. Das ist im Straßenlauf naturgemäß anders, wovon Ngetich am gestrigen Sonntagvormittag in Valencia natürlich auch profitierte und das bis fast zur Ziellinie.
Ein weiteres Indiz für die Qualität dieser Ausnahmeleistung liefert die Vergleichbarkeit über den Performance Score von World Athletics. Dieser bewertet Ngetichs Lauf mit 1.317 Punkten – und damit auch wesentlich höher als die als Fabelweltrekorde titulierten Bestleistungen von Faith Kipyegon (1.500m) und Gudaf Tsegay (5.000m), beide aufgestellt in der vergangenen Saison. Ngetichs Weltrekord übertrumpft im Performance Score auch deutlich den Weltrekord von Letesenbet Gidey im Halbmarathon, mit dem die Äthiopierin dort eine Minute Vorsprung auf die zweitschnellste Halbmarathonläuferin aller Zeiten hat. Die Vergleichbarkeit unter den Straßenlauf-Distanzen ist verlässlicher, weil Rahmenbedingungen und Materialien ähnlich sind. Nur der irre Marathon-Weltrekord von Tigist Assefa wird mit einem Performance Score von 1.318 Punkten noch einen Tick höher bewertet als die Leistung von Ngetich.
Performance Score der Weltrekorde, Laufdisziplinen der Frauen (outdoor)
Die Auflistung demonstriert, welch astronomische Leistung Anges Ngetich – und in Wahrheit auch Emmaculate Acholi – gelungen ist. Beide sind junge Athletinnen, aber bisher nicht in übertriebener Häufigkeit mit dem Potenzial von Wunderleistungen aufgefallen. Ngetich lief im letzten Herbst in Brasov einen vermeintlichen „Women’s Only World Record“, allerdings auf einer falsch vermessenen Strecke. Diesen Weltrekord in reinen Frauenrennen holte sie sich im November in Lille in einer Zeit von 29:26 Minuten. Auf der Bahn gelangen der WM-Sechsten von Budapest 2023 im 10.000m-Lauf bisher einige gute, aber keine herausragenden Leistungen. Herausragend war dagegen ihre Leistung bei der Crosslauf-WM 2023 in Bathurst, als sie die Bronzemedaille gewann.
Für die 23-jährige Emmaculate Acholi ist die Leistung von Valencia praktisch ihr Durchbruch. Die Medaillengewinnerin bei den U20-Afrikameisterschaften von 2019 hatte eine 10km-Bestzeit von 30:01 Minuten (Lille 2023) auf der Habenseite und das war ihr mit Abstand bester Wettkampf bisher, auf der Bahn agierte sie bis dato lediglich bei kleineren europäischen Meetings.
Der 10km-Lauf der Frauen in Valencia 2024 geht jedenfalls in die Geschichte ein und das nicht nur wegen des Weltrekords. Nie zuvor blieben mehr als drei Läuferinnen bei einem Wettkampf über diese Distanz unter 30:20 Minuten, gestern waren es sage und schreibe neun. Der dritte Platz ging an Lilian Rengeruk, die sich mit einer Leistung von 29:32 Minuten auf Platz vier der ewigen Bestenliste schob. Rengeruk war WM-Medaillengewinnerin im Crosslauf im Jahr 2017, vier Jahre nach ihrem U18-WM-Titel im 3.000m-Lauf. Bei der WM 2019 in Doha kam sie über 5.000m als Fünfte ins Ziel. Spannend ist aber folgende Beobachtung: Sieben ihrer Top-Acht-Karriereleistungen laut Einstufung des Performance Scores von World Athletics hat die 26-Jährige erzielt, nachdem sie im Übergang der Jahre 2022 und 2023 zehn Monate lang wegen der nachgewiesenen Verwendung eines Medikaments, welches auf der Dopingliste der WADA steht, zuschauen musste.
Als Vierte im Ranking blieb Janeth Chepngetich unter 30 Minuten, knapp an dieser Marke vorbeischrammte Joy Cheptoyek, neue Landesrekordhalterin für Uganda. Die beste Europäerin des Rennens, Jessica Warner-Judd, schob sich mit einer deutlichen Verbesserung ihrer persönlichen Bestleistung auf Rang vier der ewigen britischen Bestenliste hinter Eilish McColgan, Paula Radcliffe und Liz McColgan. Zur Halbzeit lag sie mit einer Zwischenzeit von unter 15 Minuten gar noch auf Kurs Europarekord. Beachtlich war auch die Leistung ihrer Landsfrau Megan Keith, Europameisterin der Altersklasse U23 im 5.000m-Lauf und im Crosslauf, die mit einer Leistung von 31:22 Minuten nun die Nummer sieben der ewigen britischen Bestenliste ist.
Die Top-Ten im 10km-Lauf der Frauen
Der 10km-Lauf von Valencia ist nun der Event, der beide Weltrekorde hält, denn auch der Kenianer Rhonex Kipruto hat seinen noch gültigen 10km-Rekord bei diesem Event aufgestellt. Damit steht diese Veranstaltung den „großen Brüdern“ Marathon und Halbmarathon in Valencia, beide im Herbst, um nichts nach, was die Spitzenleistungen betrifft. Bei den Männern gab es zwar keinen Weltrekord, aber mit Jacob Kiplimo einen prominenten Sieger und das in einer sehr guten Zeit von 26:48 Minuten. Der 23-Jährige rückte damit bis um zehn Sekunden an den Landesrekord von Uganda von Joshua Cheptegei heran und positionierte sich auf Platz fünf der ewigen Bestenliste. Wie Negtich absolvierte er die finale Phase des Rennens in dynamischem Schritt und alleine in Führung.
Mit Birhanu Balew (26:57) und Peter Mwaniki (26:59) blieben zwei seiner Kontrahenten ebenfalls unter 27 Minuten. Der 27-jährige Balew, ein Weltklasseläufer im 3.000m und 5.000m-Lauf, verbesserte den Asienrekord von Abraham Cheroben, ebenfalls für Bahrain startend, um gleich 38 Sekunden. Der 29-jährige Kenianer war auf Platz drei die Sensation des Männerrennens, keine seiner Vorleistungen kündigte einen Auftritt in dieser Qualität an – seine 10km-Bestleistung verbesserte er um 1:41 Minuten. Der viertplatzierte Dennis Kibet, auf der ersten Rennhälfte der einzige, der mit Kiplimo mitging, steigerte sich um 34 Sekunden auf eine Zeit von 27:01 Minuten.
Eine Kuriosität schaffte der in der Schweiz lebende und seit kurzem für die Schweiz startberechtigte Dominic Lobalu – und zwar in doppeltem Sinne. Erst zu Silvester hatte er in Barcelona den Europarekord im 5km-Straßenlauf von Jimmy Gressier eingestellt. In Valencia egalisierte er nun den Europarekord über die doppelte Distanz ebenfalls auf die Sekunde genau und stellte in einer Zeit von 27:13 Minuten die bisherige Bestmarke seines Landsmanns Julien Wanders ein. Die zweite Kuriosität: Obwohl der 25-Jährige den Europarekord einstellte, lief er keine persönliche Bestleistung. Vor einem Jahr war Lobalu in Valencia noch vier Sekunden schneller, damals ein Landesrekord für sein Geburtsland, den Südsudan.
Die Sensationsleistung aus europäischer Sicht lieferte jedoch nicht der Neo-Schweizer ab, dessen Klasse schon aus diversen Wettkämpfen bekannt ist. Andreas Almgren pulverisierte bei seinem Debüt im 10km-Straßenlauf den schwedischen Rekord von Jonas Glans, aufgestellt exakt vor einem Jahr bei diesem Event, um 37 Sekunden. Mit seiner Leistung von 27:20 Minuten reihte sich der 28-Jährige hinter dem Schweizer Duo auf Rang drei der ewigen europäischen Bestenliste ein. Mit Ausnahme der drei besten Leistungen von Wanders über diese Distanz stammen alle Top-Ten-Zeiten der europäischen 10km-Geschichte aus den letzten 27 Monaten.
Auch für die lokalen Fans gab es eine Topleistung zu feiern. Abdessamad Oukhelfen verbesserte als 13. in einer Zeit von 27:44 Minuten den spanischen Rekord von Antonio Abadia um vier Sekunden. Insgesamt finishten 10.949 Läuferinnen und Läufer, davon 7.348 Männer und 3.580 Frauen, entweder den 10km- oder den 5.000m-Lauf, rund 800 Aktive zählte der Kinderlauf.
Verzichten mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer allerdings auf die Veranstaltungs-T-Shirts. Diese erreichten aufgrund der zurzeit gefährlichen Handeslroute durch das Rote Meer und des entsprechenden Umwegs der Handelsschiffe rund um den Kap der Guten Hoffnung die spanische Hafenstadt nicht rechtzeitig. Der Veranstalter bat um Entschuldigung und begab sich auf die Suche nach Lösungen.
Frauen
Männer
* neuer Weltrekord
** neue persönliche Bestleistung
*** 10km-Debüt
**** neuer Landesrekord für Uganda
***** neuer Asienrekord
****** Europarekord eingestellt
******* neuer Landesrekord für Schweden
******** neuer Landesrekord für Spanien